Mindestsätze der HOAI trotz EuGH-Urteil weiterhin anwendbar?
Der Europäische Gerichtshof hat in einer Aufsehen erregenden, aber nicht unerwarteten Entscheidung, geurteilt, dass die Mindest- und Höchstpreissätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) unwirksam sind (EuGH, Urteil v. 4.7.2019 – C‑377/17, BeckRS 2019, 13028).
Was folgt daraus für die aktuelle deutsche Rechtsprechung?
Während in der Literatur die Meinung vertreten wird, dass die aktuellen Vereinbarungen der HOAI zwischen Planern, Architekten und Bauherren wirksam bleiben, die Gerichte aber § 7 Abs. 1, 3 und 4 der HOAI 2013 insoweit nicht mehr anwenden dürfen (vgl. Orlowski in NJW 2019, 2505), ist das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 23.07.2019 – 21 U 24/18 anderer Auffassung: die Entscheidung des EuGH führe s. E. nicht zur Unanwendbarkeit der Mindestsatzregeln gem. § 7 HOAI, denn das Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren binde nur den Mitgliedstaat, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen muss, um den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Für den einzelnen Unionsbürger gehe von dem Urteil dagegen keine Rechtswirkung aus. Die Feststellung der Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI im Vertragsverletzungsverfahren ändere nichts daran, dass zum Zeitpunkt des Verstoßes die HOAI zu beachten war, denn es gebe insofern keine Rückwirkung (Anschluss an OLG Naumburg, NZBau 2017, 667, 669; KG, IBR 2018, 690; entgegen OLG Celle, Urteil v. 17.7.2019 – 14 U 188/18, BeckRS 2019, 15002; LG Dresden, Beschluss v. 8.2.2018 – 6 O 1751/15, BeckRS 2018, 44863).
In dem zugrunde liegenden Fall hatte das OLG Hamm in 2. Instanz u.a. darüber zu entscheiden, ob bestimmte Planungsleistungen eines Ingenieurbüros für Versorgungstechnik nach den Mindestsätzen zu vergüten waren, die durch eine Pauschalpreisvereinbarung der Parteien unterschritten wurden. Beklagtenseite war eingewandt worden, dass sich die Forderung des Planers nicht den Mindestsätzen gem. HOAI, sondern nach der für den Auftraggeber günstigeren Pauschalpreisvereinbarung richte, weil der EuGH entschieden habe, dass die Höchst- und Mindestpreisregelungen der HOAI europarechtswidrig seien.
Dem widersprach insoweit das OLG Hamm und argumentierte, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmten Schranken unterliege. So finde die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (Anschluss an BGH NJW 2016, 1718, 1721; EuGH, IWRZ 2019, 76, 77; EuGH, NZA 2014, 193, 195).
Die Revision wurde zugelassen. Nun soll der Bundesgerichtshof entscheiden (VII ZR 174/19).
Siehe: https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2019/21_U_24_18_Teil_Verzichts_und_Schlussurteil_20190723.html